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Die Roma-Gemeinschaft in Transkarpatien: eine tragische Geschichte und Wiederherstellung des Gedächtnisses
18:35
9 грудня 2023 р.

Die Roma-Gemeinschaft in Transkarpatien: eine tragische Geschichte und Wiederherstellung des Gedächtnisses

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte die ethnische Minderheit der Roma in Transkarpatien mehrere Bitternisse und tragische Ereignisse. Unter den historischen Umständen war die Roma-Gemeinschaft marginalisiert, isoliert, sozial ungeschützt und befand sich sowohl in Ungarn als auch in der Tschechoslowakei, am Rande des öffentlichen Lebens. Das schwache Bildungsniveau der Roma, die nomadische Lebensweise einiger von ihnen, der Mangel an eigener Intelligenz ermöglichte ihnen nicht, aus den dürftigen Verhältnissen auszubrechen.

 In den 1920er und 1930er Jahren unternahmen die tschechischen Behörden in Pidkarpatsjka Rusj zahlreiche Versuche, die Roma-Gemeinschaften, vor allem in Großstädten, zu sozialisieren und zu assimilieren, indem sie das Bildungsniveau der Roma zu erhöhen versuchten. Das wurde aber durch die Eröffnung separater, segregierter Schulen realisiert. So wurde 1926 in der Stadt Uschgorod auf dem Territorium der Roma-Siedlung in der Bercheny-Straße (heutiger Stadtbezirk Sсhakhta) eine der ersten separaten Roma-Grundschulen in Europa eröffnet. Die Schüler dieser Lehranstalt wurden später zu der musikalischen Roma-Intelligenz von Uzhhorod und des gesamten Transkarpatiens.

FOTO: Roma-Grundschulen in Uzhhorod

Die Jahre 1939–1945 sind in die Geschichte Europas und der Welt als Zeit der größten rassistischen und ethnischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingegangen.

  Im Jahre 1941 fingen die Massenrepressionen gegen die Roma in Transkarpatien an. “In Ungarn wurde ein grundlegender Werk zum Völkermord an den Roma veröffentlicht, doch diese Forschung ist auf die Grenzen der aktuellen ungarischen Republik eingeschränkt und beinhaltet nicht die Ereignisse in Pidkarpatska Rusj. Nur eine Kopie der telefonischen Nachricht von Dr. Kemeny vom Juli 1941 über die Deportation aller Juden, die keine ungarische Staatsbürgerschaft besaßen, sowie von 1000 Roma aus den Gespanschaften Uhotscha und Ung nach Kamjanez-Podilskyj aufgeführt wurden. Der Grund dafür war, dass die Juden zu jenem Zeitpunkt keine Dokumente besaßen und Roma eine „nomadische Lebensweise” führten”, so die Forscherin der Roma-Geschichte Jewhenia Nawrotsjka.

“Offensichtlich war es die erste geplante Massenaktion, die mit der Deportation und der nachfolgenden Ermordung von Juden und Roma in Transkarpatien verbunden war. Zu jener Zeit gehörten zu den Gespanschaften von Uhotscha und Ung mehrere Bezirke von derzeitigen Transkarpatien mit Zentren in Wynohradiw und Uzhhorod.


Völkermord an den Roma aus Transkarpatien ist unzureichend erforscht

Lange Zeit wurde dem Roma-Thema im Vergleich zum jüdischen Holocaust von Historikern, Soziologen und Anthropologen nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Zur Zeit der Sowjetunion wurden die ethnischen Beziehungen in Transkarpatien im erwähnten Zeitraum fast nicht erforscht. Erst seit den 1990-en Jahren wurden die ersten Studien über Roma-Gemeinschaften in der Region, aber hauptsächlich unter sozial-wirtschaftlichen Aspekten veröffentlicht.

Bekanntlich führten die Roma keine Tagebücher, schrieben keine Aufzeichnungen und hatten keine ausgebildeten Menschen unter sich, die die Verbrechen gegen die Vertreter von Roma-Gemeinschaften beschreiben oder fotografieren konnten. Tatsächlich wurde während der Sowjetunion keine Aufzeichnung von Roma-Erinnerungen durchgeführt. Die Situation hat sich seit der Unabhängigkeit der Ukraine in den 1990-en Jahren geändert. Die Roma-Nichtregierungsorganisationen in Transkarpatien, vor allem die Gesellschaft „Romani Yag“, fingen an, die mündlichen Berichte älterer Roma über die tragischen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs zu sammeln.

FOTO: Buchdeckel „Beichte. Die Lebendige zeugen"

FOTO: Buchdeckel „Weißer Stein aus der schwarzen Folterkammer“

Auf Grund dieser Berichte kann man über einen annähernden Maßstab der Gewalt gegen die Roma-Bevölkerung, die Täter von Verbrechen, die Methoden der physischen und psychischen Gewalt sowie die geografische Verteilung von Gewaltfällen in Transkarpatien sprechen.

Die gesammelten mündlichen Aussagen liegen zu Grunde der zwei Büchern von Aladar Adam und Yewhenia Nawrotsjka – ein methodisches Lernmittel „Beichte. Die Lebendige zeugen" und das dokumentarische Werk „Weißer Stein aus der schwarzen Folterkammer“. Außerdem wurde in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Holocaust and Modernity“ ein Artikel von J. Nawrotsjka veröffentlicht.

Das größte Text- und Videoarchiv mit Zeugenaussagen der Opfer des jüdischen Holocausts und des Völkermords an den Roma in der Ukraine wurde zwischen 1996 und 1999 vom Institute of the Shoah Foundation (USA) gesammelt. Insgesamt wurden 3423 Interviews aufgezeichnet, davon 135 - mit Roma, die teilweise in Transkarpatien lebten. Diese Interviews sind auf der Website der Shoah Foundation veröffentlicht worden. Der Zugriff darauf ist jedoch teilweise eingeschränkt. 

Es ist unmöglich, die mündlichen Aussagen älterer Roma, die verschiedene Formen von Gewalt erlebt haben oder Zeugen der Verbrechen waren, zu dokumentieren. Die Bestände des Staatsarchivs in Transkarpatien (Filiale in Berehovo) ermöglichen nicht, die Ereignisse dieser Jahre ausreichend zu erlernen. Offensichtlich versuchten die Täter, ihre Verbrechen sorgfältig zu verdecken, da die Archivmaterialien immer noch geheim erklärt sind und außerhalb der Ukraine bewahrt werden. Für Erforschung werden nur die Archivmaterialien zur Verfügung gestellt, in denen es um die Vorbereitung der Massenisolation von Roma in Uzhhorod behufs deren weiteren Aussiedlung außerhalb Transkarpatiens, geht. 


Versuch einer territorialen Fixierung von Verbrechen gegen Roma

Interessant ist der Versuch, Verbrechen und Gewalttaten gegen die Roma-Bevölkerung Transkarpatiens während des Zweiten Weltkriegs territorial festzustellen. Dank dem Gesamtbild solcher Fälle ist es möglich, die Orte der Verbrechen (Gewalt) auf der geografischen Karte des heutigen Transkarpatiens zu markieren und diese durch neue Angaben zu erweitern.

 Diese Idee wurde 2023 teilweise ins Leben gerufen, indem auf der Website „Poraimos in Transkarpatien“.Virtuelles Museum“ eine Kolumne „Karte der Erinnerungen an Porajmos in Transkarpatien (anhand der Dokumenten und Publikationen)“ hinzugefügt wurde. Sie ist unter dem Link : https://porajmos.com.ua/karta-spogadiv-pro-porajmos- na-zakarpatti -za-dokumentamy-ta-publikatsiyamy/ zu finden. 

Die Orten der Gewalt gegen Roma in Transkarpatien während des Zweiten Weltkriegs wurden im Rahmen der Zusammenarbeit zweier öffentlicher Organisationen von Uzhhorod kartiert – der Karpatenagentur für Menschenrechte „Wested“ und der Gesellschaft „Hidnist“ („Pativ“) unter Unterstützung der deutschen Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ).

Das historische Wohngebiet der Roma-Gemeinschaft in Transkarpatien umfasst fast alle Bezirke. Für Markierung und Gruppierung der Zeugenaussagen der Opfer, der Augenzeugen und der Erinnerungen ihrer Nachkommen wurde die alte Karte von Transkarpatien (bis zum Jahre 2020) verwendet, als die Region in dreizehn Bezirke unterteilt war. Die meisten Roma leben in den Bezirken von Uzhhorod, Mukatschewo, Berehowo und Wynohradowo. Zahlreiche Gemeinden sind auch in Peretschyn Bezirk, Welykyj Beresnyj, Khust, Swaljawa, Irschawa, Rachiw, Tjatschiw und Wolowets. 

Manchmal erlitten die transkarpatische Roma die Gewalt in den Dörfern oder Städten, die heutzutage zu Slowakei oder Ungarn gehören. Das passierte, zum Beispiel, bei der Erledigung der Zwangsarbeiten in der Landwirtschaft oder der Arbeitspflicht.  


Historisches Gedächtnis der Opfer des Völkermords an den Roma wird wiederhergestellt

Das Thema des Gedenkens an die Opfer des Völkermords an den Roma in der Ukraine und der Erinnerungskultur wurde in den letzten Jahren aktiv besprochen. Im September 2016 wurde die Skulpturenkomposition „Roma Kibitka" im Tal Babyn Jar in Kyjiw installiert. Sie wurde aus der Stadt Kamjanets-Podiljskyi umgetragen. Jährlich finden auf gesamtukrainischer Ebene die Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des Völkermords an den Roma statt.

Denkmäler und Gedenktafeln zum Gedenken an die Opfer des Völkermords an den Roma wurden auch in Tschernihiw und Uzhhorod sowie im Dorf Diwoschyn in Zhytomyrsjka Gebiet aufgestellt.

 Das Problem des Gedenkens an die Opfer des Völkermords an den Roma in Transkarpatien aufrechtzuerhalten, war bis vor kurzem recht scharf. Obwohl der 2. August weltweit als gesamteuropäischer Tag des Gedenkens an die Opfer des Völkermords an den Roma oder als Internationaler Tag des Gedenkens an den Genozid an den Sinti und Roma erklärt wurde, wurde er in der Region seit vielen Jahren nicht weit gewürdigt. 

Vor dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine besuchten jedes Jahr Anfang August die Jugend und Alten von Roma sowie deren öffentliche Führungskräfte aus Transkarpatien die Stadt Auschwitz (Republik Polen), wo sie an internationalen Gedenkveranstaltungen auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau teilgenommen haben. Hier wurden in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 4.200 bis 4.300 Roma in den Gaskammern ermordet. 

Eines der bemerkenswertesten Ereignisse der letzten Jahre in Transkarpatien war das Requiem „Traurige Kerze zum heiligen Gedenken“, das dem Internationaler Tag des Gedenkens an den Genozid an den Sinti und Roma gewidmet war und am 2. August 2013 am Teatralnaya Platz in Uzhhorod stattfand. Damals wurde auch ein Holzkreuz zu Ehren der Opfer des Völkermords an den Roma auf dem Gelände des Friedhofs im Stadtbezirk Schakhta (gegenüber der Roma-Siedlung, die im Zweiten Weltkrieg vom Stacheldraht umgegeben war) errichtet. 

FOTO: Anführer der Roma-Gemeinschaft am Holzkreuz für die Opfer des Roma-Völkermords, Uzhhorod, 02.08.2013

Bereits vor zehn Jahren war die Errichtung eines Gedenkzeichens oder einer Miniskulptur in Uzhhorod zum Gedenken an die Opfer des Völkermords an den Roma aktuell. Erst im Sommer 2023 wurde diese Idee in Metall umgesetzt: Am 2. August wurde auf dem Gelände des Uzhhoroder Gymnasiums Nr . 14. eine Miniskulptur zum Gedenken an die Opfer des Völkermords an den Roma in Transkarpatien eingerichtet.

FOTO: Miniskulptur zum Gedenken an die Opfer des Holocaust an den Roma, Gymnasium Nr. 14 in Uzhhorod, 02.08.2023

Auch der Ort der Einrichtung des Gedenkzeichens wurde nicht zufällig gewählt. In den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die Rechte und Bewegungsfreiheit der Uzhhoroder Roma aus Motschar (heute Stadtbezirk Schakhta) schrittweise eingeschränkt. Schließlich wurde die Siedlung in Motschar mit Stacheldraht und Zaun umgegeben und zu einer Art von kleinem Getto für Roma geworden. Ein ähnliches Schicksal ereilte auch die Roma aus Radwanka, das damals noch ein eigenständiges Dorf war. Im Frühjahr und Sommer 1944 wurde die Roma-Bevölkerung von Uzhhorod und ganz Transkarpatien durch die objektiven Gründe vor dem schrecklichen Schicksal der Massendeportation und Vernichtung gerettet.

HAUPTFOTO: Bewohner des Roma-Vorortes Uzhhorod, 1936. Archiv von Ferdinand Bucina

 

 Wiktor Tschowka

* * *Der Artikel wurde im Rahmen der Projekttätigkeit unter der Unterstützung der Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft”(EVZ) vorbereitet


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